Chemnitzer Zeitzeugen: Gottfried Weise

Foto: privat
1944 begonnen die alliierten Streitkräfte ihre Luftangriffe auf deutsche Städte nach Mitteldeutschland auszuweiten. Bei Eintritt der Dunkelheit mussten alle Fenster verdunkelt werden, damit kein Licht auf die Straße fällt. Die Kraftfahrzeuge mussten mit abgedeckten Scheinwerfern nur mit Sehschlitzen fahren. Die Bevölkerung wurde angehalten Leuchtabzeichen zu tragen, damit man bei Dunkelheit erkennt, wenn jemand auf einen zukommt.
Wir hörten dann immer im Radio, wenn die feindlichen Bomberverbände im Anflug waren. Die Radiodurchsagen begannen immer durch ein Signal (wir sagten die Weckertöne). Auch wir in Sachsen wurden damit nicht verschont. Anfang 1945 fielen auch die ersten Bomben in Chemnitz. Junge Hitlerjungen wurden als Flakhelfer eingezogen. Ich als junger Pimpf wurde eingeteilt, Essen an die ausgebombte Bevölkerung zu verteilen. Dazu wurde ich mit zwei weiteren Pimpfen zum Speisehaus in der Brückenstraße beordert. Dort wartete ein Lieferwagen und wir haben Thermobehälter mit warmen Essen aufgeladen und sind zu den getroffenen Orten gefahren um die Bewohner mit dieser Nahrung zu versorgen.
Oft wurden wir schon bei Voralarm von der Schule nach Hause geschickt, der Unterricht fiel aus. Immer häufiger wurden wir durch Fliegeralarm nachts geweckt. Wir Kinder haben uns deshalb vor dem Schlafen gehen nur teilweise ausgezogen um möglichst schnell den Luftschutzkeller zu erreichen. Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn draußen die Bomben fallen und im Keller die kleinen Kinder schreien und die älteren Beten und hoffen das ihr Haus nicht getroffen wird und man ist dem hilflos ausgeliefert. Das Licht fällt aus und nur Kerzenlicht erhellt den Raum.
Im Februar dann der schreckliche Angriff auf Dresden. Ich erinnere mich an ein Gespräch in unserem Bäckerladen. Ein Kunde sagte zu meiner Mutter “Frau Weise, die Bomber kommen wieder nach Chemnitz. Und dann mittags und abends nochmal. Ihr Haus gefällt mir dabei gar nicht. Nehmen sie ihre Kinder und fahren sie weg von hier.“ Er hatte recht behalten. Beim 2. Angriff am 5.3.1945 hat es auch unser Haus getroffen. Unser Haus in der Theresenstr. 4 und die Nachbarhäuser wurden vermutlich durch Brandbomben getroffen. Das Areal „Goldener Anker“ wurde durch Sprengbomben zerstört. Als wir unser Haus durch den Notausstieg im Keller verließen (es war damals Pflicht einen Mauerdurchbruch von einem Haus zum anderen zu machen, damit man im Bedarfsfall auch durch das Nachbargebäude das Haus verlassen konnte), sahen wir ringsum schon brennende Häuser und liefen Richtung Industrieschule auf den Schlageterplatz (heute Park der Opfer des Faschismus), wo sich schon viel Menschen versammelt hatten. Im Morgengrauen setzte sich dann ein Zug vieler Menschen mit den wenigen Habseligkeiten im Rucksack auf der Zschopauerstraße durch brennende Häuserzeilen stadtauswärts Richtung Zschopau in Bewegung.
Ich meine, es sei Zschopau gewesen, wo wir in einer Turnhalle Unterschlupf fanden. Mein Vater ging am nächsten Tag zurück nach Chemnitz, um zu schauen, was übriggeblieben war. Nach drei Tagen konnten auch wir zurück nach Chemnitz. Vater hatte in der Augustusburger Straße eine leerstehende Bäckerei gefunden, die wir übernehmen konnten. Wir hatten wieder ein zu Hause. Bei jedem Fliegeralarm suchten wir einen Luftschutzraum auf, denn im Haus war kein Keller. Vor weiteren Fliegerangriffen wurden wir weitgehend bis zum Einmarsch der russischen Truppen verschont.