Chemnitzer Zeitzeugen: Horst Reimann


Foto: Igor Pastierovic
"Mehr als vier Wochen haben wir im Keller gehaust. Mutter hat in der Zinkbadewanne geschlafen, mir hat sie das Kinderbett unten aufgebaut. Im Keller war auch eine Einheit des Volkssturms. Die hatten in der Neefestraße, dort wo jetzt der Solaristurm ist, eine Barrikade aus alten Fässern der Fettchemie aufgebaut."
Horst Reimann erlebte den Krieg in der Platnerstraße 5. Er lebte mit seiner Mutter in einer Zweiraumwohnung. Im März 1945 war er fünf Jahre alt und Einzelkind. Der Vater war beim Reichsarbeitsdienst, dann an der Ostfront, später in Frankreich. Der Krieg und die Zeit danach haben Horst Reimann geprägt. Als dann die ersten Feuerwerke gen Himmel stiegen, zuckte er zusammen. "Das hat mich nervlich belastet."
Der Krieg war eine Zeit des Mangels: „Wenn die Milch sauer wurde, hat man daraus Quark gemacht. Wenn‘s sonntags Klöße gab und die geriebenen Kartoffeln ausgedrückt wurden, ließen wir das Wasser stehen, bis sich die Stärke unten absetzte. Und die hat man dann genommen, um Tischdecken und andere Wäsche zu stärken.“ Manche trockneten Kartoffelschalen und mahlten siev in der Kaffeemühle.
Horsts Mutter hat Strümpfe gestopft. „Einmal hat sie ein paar Leuten geholfen, die kein Geld hatten, aber einen Hund. Für den gab‘s keine Nahrung, da haben sie ihn geschlachtet und meiner Mutter als Bezahlung ein Stück mitgegeben.“ Sie hat es dann zubereitet wie Hammel.
„Mehr als vier Wochen haben wir im Keller gehaust. Im Februar, März 1945 rum. Mutter hat in der Zinkbadewanne geschlafen, mir hat sie das Kinderbett unten aufgebaut. Ich habe als Fünfjähriger mitgeholfen, die Kellertür mit Ziegeln zu verbarrikadieren, nachdem eine Bombe eingeschlagen war und ein Mädchen verletzt hatte, das auf einem Wasserfass saß. Dass wir in den Keller gingen, war damals vorgeschrieben. Die Menschen sollten überleben.“
„Es musste Rücksicht genommen werden. Kinder mussten ruhig sein, wehe wir hätten geschrien. Im Keller war auch eine Einheit des Volkssturms. Die hatten in der Neefestraße, dort, wo jetzt der Solaristurm ist, eine Barrikade aus alten Fässern der Fettchemnie aufgebaut. Die leeren Fässer sind doch leer gefährlicher als voll - durch die Gase, die sich bilden …! Dort, wo jetzt das Toyota-Reifenlager ist, waren Baracken. Da waren italienische Fremdarbeiter untergebracht. Die kamen betteln, weil sie schlechter versorgt wurden, als Italien die Seiten wechselte. Mutter hat ein Stück Brot gegeben. Da ist sie angezeigt worden. Da musste sie zur Gestapo. Ich habe heute noch die Worte meiner Mutter im Gedächtnis: ‚Der größte Lump im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant!‘“
„Wir haben den großen Angriff gesehen. Der Himmel war feuerrot. Anderntags ging Mutter mit mir zur Schwester in die Richard-Wagner-Straße. Straßen voller Schutt. Später gab es sogar noch Schwerverletzte und Tote, als die Hauswände einstürzten. Selber sind wir verschont geblieben, wie die ganze Ecke.“ Im Spätsommer 1945 kam der Vater aus der Gefangenschaft. Mit Lungenentzündung. Horst:
„Ein richtiges Verhältnis hatte ich da zu ihm nicht.“
Dann wurde es nochmals eng für den mittlerweile Sechsjährigen: „Im November 45 hatte ich ein Geschwür am Zwölffingerdarm. Für eine OP gab es keine Mittel. Der russische Arzt hat angeordnet: Heiße und kalte Umschläge im Wechsel. Und da ist das irgendwie weggegangen. Schonkost gab es dort, Salzkartoffeln und Rote Rüben. Ich konnte jahrelang nicht an die Rüben ran.“
Mit Schulkameraden hat er Schrott gesammelt, es gab ja kein Taschengeld. „Ich bin in der Goethestraße in eine Ruine rein und habe Bleirohre rausgeholt“, erzählt er. „Ein Handwagen voll mit drei Zentnern! Einmal hatte uns ein Hausbesitzer davongejagt. Das Geld, das wir dafür bekamen, hat ja auch meinen Eltern geholfen, die hatten nicht viel. Sie mussten zusätzlich zur Arbeit sonnabends ran: in der Stadt Schutt beräumen.“
Krieg und die Zeit danach haben Horst Reimann geprägt. Als dann die ersten Feuerwerke gern Himmel stiegen in der Brückenstraße, da zuckte er zusammen. „Das hat mich nervlich belastet.“ Auch die Angst vor Verrat blieb.
Horst wurde Ingenieur für Holztechnik.